Es sind symbolträchtige Bilder, die man in den letzten Wochen in den Medien zu sehen bekam. Ältere Bürger vor leeren Regalen, Streitereien an den Kassen und volle Einkaufswägen. Sie alle stehen für das Versagen des kapitalistischen Systems, sich um die Probleme und Bedürfnisse der eigenen Bürger zu kümmern.

Die letzten Wochen zeigen die Probleme des Kapitalismus auf verschiedene Ebenen auf. Während wir im ersten Teil auf die strukturellen Probleme auf politischer und ideologischer Ebene eingegangen sind, soll in diesem Text der Blick auf die individuelle Ebene gerichtet werden.

Auf politischer und ideologischer Ebene wurden drei eklatante Missstände festgehalten. Da wäre einmal die Priorisierung des Wirtschaftssystems gegenüber dem Gesundheitssystem, obwohl Letzteres ebenfalls durch die Kapitalisierung (wie etwa durch die Privatisierung der Krankenhäuser) unternehmensähnliche Züge angenommen hat. Dann wäre da die vorrangige Behandlung von wirtschaftsstarken und berühmten Personen (wie z.B. bei der Durchführung der Überprüfung auf Coronaviren). Zu guter Letzt wurde im letzten Text auf den Leichtsinn und die Naivität der politischen Führung mit dem Coronavirus eingegangen.

Die heutige Perspektive richtet sich von der großen Ebene auf das einzelne individuelle Verhalten, welches im Kollektiv ebenfalls verheerende Konsequenzen nach sich gezogen hat. Dabei spielt vor allem eine in der hiesigen Gesellschaft getragene Idee eine besondere Rolle im Umgang mit dem Coronavirus, die des Individualismus.

„Survival of the fittest“, die Selbstverwirklichung oder die Selbstentfaltung. Sie alle sind Ausdrucksformen des Individualismus. Die Menschen werden in der hiesigen Gesellschaft schon sehr früh dazu angehalten, sich in den Vordergrund zu stellen. Dazu gehört dann auch, dass man die eigenen Träume, Wünsche und auch die eigenen Bedürfnisse vorrangig behandelt und versucht, sie zu erfüllen und zu verwirklichen. Zu den Bedürfnissen gehören dann aber nicht nur die Grundbedürfnisse, sondern auch das Recht auf die persönliche Entfaltung und die Selbstverwirklichung.

So ist es nicht besonders verwunderlich, wenn Menschen Hamsterkäufe tätigen, sich um die letzte Rolle Klopapier streiten oder am Wochenende noch feiern gehen wollen. Das Coronavirus hat sich zu einer echten Herausforderung für die Spaß- und Konsumgesellschaft entwickelt. Es stellen sich die Fragen: Wie lange schaffen es die Bürger noch, ihren eigenen Willen dem Wohl der Gemeinschaft unterzuordnen? Welchen Anreiz haben sie überhaupt dafür und warum sollten sie ihre eigenen Freiheiten einschränken?

Die Regierung merkt zu diesen Zeiten, dass sie jahrzehntelang den falschen Weg gegangen ist, indem sie das Individuum stets vor die Gesellschaft gestellt hat. Nun muss sie von den Bürgern verlangen, die antrainierten Gewohnheiten und Lebensstile beiseite zu legen. Deshalb auch der wiederholte Appell der Bundeskanzlerin in ihrer Ansprache Mitte März an die Bürger, sich an die Maßnahmen zu halten und die eigenen individuellen Bedürfnisse zur Seite zu stellen.

Doch stellt sich hier die Frage: Warum ist ein derartig drastischer Appell überhaupt nötig? Warum sind derartig hohe Strafen nötig, um die Bürger davon abzuhalten, eine private Feier zu veranstalten? Es bedarf Strafen von bis zu 25.000€, um die Menschen zu Hause zu halten. Rücksicht gegenüber anderen Mitbürgern? Fehlanzeige! Das Hamstern und die Verweigerung von Mietzahlungen milliardenschwerer Konzerne sind Folgen des kapitalischen Systems und seiner Erziehung. Sie sind der zu Ende gedachte Gedanke des „survival of the fittest“. Das Produkt einer Ellenbogengesellschaft, in der der Egoismus und der Individualismus schon in frühen Jahren beigebracht werden.

Wie sagt man so schön? „Man erntet, was man sät“. Der Kapitalismus hat den Individualismus gesät und die Menschen zu Egoisten erzogen, die ihre eigenen Bedürfnisse vor diejenigen der Gesellschaft stellen und nun wundert man sich, wieso die Menschen sich zuerst vor einer Krise retten wollen, bevor sie an ihre Mitmenschen denken?

Nun könnte man jetzt einwenden, dass es auch viele positive Beispiele der Nachbarschaftshilfe und der gegenseitigen Fürsorge gäbe. Dem kann man nur zustimmen. Doch stellt sich die Frage, woher diese moralische Eigenschaft überhaupt herkommt. Eines kann man nämlich festhalten: Dem kapitalistischen System ist sie nicht entsprungen.

In Bezug auf die deutsche Gesellschaft wäre hier vor allem die Nähe zur Kantschen Moralphilosophie, dem Kategorischen Imperativ zu nennen. Man hilft den Nachbarn und Älteren sowie anderen Risikopatienten, weil man eine derartige Hilfe auch für sich selbst im Falle einer Erkrankung in Krisenzeiten erhofft.

Die Moral, welche die einzelnen Individuen so handeln lässt, kann demnach verschiedene Ursachen haben: Eine Philosophie, die ein ganzes Land prägt, eine (religiöse) Erziehung oder auch die Sozialisation in einer Gruppe empathischer Mitmenschen. Aber auch individuelle Ereignisse, wie das eigene Erfahren von Not und Leid oder das Gefühl der Schuld können auf individueller Ebene dazu führen, dass Menschen ihren Mitmenschen zu diesen schweren Zeiten zur Seite stehen wollen.

Festzuhalten ist jedoch, dass diese Hilfe nicht systembedingt ist. Der Kapitalismus mit seiner Moraltheorie des Utilitarismus hält die Menschen nämlich nicht dazu an, auf einzelne Minderheiten zu achten, wenn die größtmögliche Summe an Nutzen für die Gesamtheit dadurch gefährdet wird.

Es sollte die Aufgabe eines jeden Staates und Systems sein, sich um die Bedürfnisse und Probleme aller Menschen und gesellschaftlichen Schichten zu kümmern. Ein System, welches bestimmte Bevölkerungsgruppen bevorzugt und in dem die einzelnen Menschen lieber für sich als für den gesellschaftlichen Fortbestand handeln, ist somit dem Untergang geweiht.

Fähig zu dieser Regulierung der einzelnen Bedürfnisse und der Lösung der Probleme ist nur der Schöpfer des Menschen, da der Erhabene ihn mit all seinen Bedürfnissen und Instinkten erschaffen hat und somit am besten weiß, wie die Harmonisierung der individuellen und gesellschaftlichen Rolle zu gestalten ist.

Die Harmonisierung und Lösung all dieser gesellschaftlichen Probleme und Bedürfnisse liegt in der Anbetung Allahs (t) und in der Befolgung seiner Gesetze und Anweisungen. So sagt Allah (t) im edlen Koran: „Und Ich habe die Ginn und die Menschen nur (dazu) erschaffen, damit sie Mir dienen.“ [51:56]