Der Sieg über den Nationalsozialismus sollte eine neue Ära in Deutschland einleiten. Eine Ära, in der Nationalismus, Faschismus und Rassismus ein für alle Mal der finsteren Vergangenheit angehören sollten. Parolen wie „nie wieder Deutschland“ und „nie wieder Krieg“ bestimmten den Mainstream.
Nie wieder?
2016: Die Alternative für Deutschland (AfD) erzielt in den Landtagswahlen bemerkenswerte Ergebnisse. In Rheinland-Pfalz: 12,6%. In Baden-Württemberg: 15,1%. Und in Sachsen-Anhalt wird sie mit sage und schreibe 24,2% zur zweitstärksten Fraktion! Die rechtsradikale AfD ist damit in 8 Landtagen vertreten und wird im Jahre 2017 mit voraussichtlich 11,7% in den Bundestag einziehen.
Doch nicht nur in Deutschland sind die Rechten auf dem Vormarsch. Knapp 50% der österreichischen Wähler stimmten im Mai für den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer und brachten damit ihren Wunsch zum Ausdruck, dass das höchste Amt des Landes von einem Ewiggestrigen bekleidet werden sollte. Eine ähnliche Entwicklung ist in allen anderen europäischen Ländern zu beobachten. In der Schweiz regiert die rechtspopulistische SVP, in Polen die rechtskonservative PiS. Und in Ungarn wird Viktor Orban als neuer starker Mann beklatscht. Während sich die rechtsradikale Front National allmählich zur stärksten Kraft Frankreichs entwickelt, werden die ohnehin schon konservativen Regierungen in skandinavischen Ländern noch von ultrarechten Nationalisten wie der Dänischen Volkspartei vor sich hergetrieben.Wir erleben also einen gewaltigen Rechtsruck, der durch ganz Europa und eben auch durch Deutschland geht! Doch wie konnte es dazu kommen? Was ist passiert? Und kann es wirklich sein, dass Bürgerinitiativen wie die PEGIDA oder junge Parteien wie die AfD für diese erschreckende Entwicklung verantwortlich sind?
Um diese Fragen zu beantworten, müssen die Ursachen für die wachsende Präferenz rechter Positionen erörtert werden.
Zum einen existieren systemimmanente Faktoren, die nationalistische und faschistische Ideen fördern. Aufbauend auf dem Konzept des Nationalstaates, entwickeln sich Vorstellungen über die kollektive Identität, welche gerade in Krisenzeiten als sicherer Hafen erscheint. In Zeiten ökonomischer Unsicherheit nehmen Existenz- und Verlustängste stetig zu. Im Angesicht drohender Armut stellt sich die Frage nach Verteilung und Privilegien. Wem gehören die Arbeitsplätze? Wem gehört der Wohnraum? Und wer hat das Recht, staatliche Transfer- oder Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen? Die einfachste Antwort hierauf: der Deutsche zuerst! Die Flüchtlingskrise hat deutlich vor Augen geführt, wie schnell diese Ängste in Gewalt umschlagen können. Brennende Asylheime und Moscheen gehören inzwischen zum traurigen Alltag der Bundesrepublik. Wie so oft werden abstrakte Existenz- und Verlustängste, die eigentlich die Schwächen der eigenen Gesellschaftsordnung offenbaren, kanalisiert und durch ein konkretes Feindbild personifiziert. Der Sündenbock für das eigene Versagen ist nun der Muslim. Frei nach dem Motto: Unser Sozialsystem funktioniert, wären da nicht die ganzen Sozialschmarotzer aus dem Orient!
Neben den systemimmanenten Faktoren existiert ein politisches Interesse, den Nationalismus in Deutschland zu fördern. Denn die Bundesrepublik sucht seit der Wiedervereinigung ihre Rolle auf dem internationalen Parkett. Während Deutschland seit 1945 ausschließlich eine passive Außenpolitik im Schlepptau der Vereinigten Staaten, der NATO und der UNO betrieb, strebt es nun danach sein eigenes Profil zu schärfen, um über das transatlantische Bündnis hinaus, eigene nationale Interessen formulieren und vertreten zu können. Als Startschuss für die neue außenpolitische Doktrin, kann die berühmte Rede des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck vom 11.03.2004 interpretiert werden. Bewusst schwadronierte er nicht von der Verteidigung der Demokratie und der westlichen Werte, sondern stellte das Schicksal der deutschen Nation in den Mittelpunkt. So sagte er: „Die Sicherheitslage hat sich entscheidend verändert. Deutschland wird absehbar nicht mehr durch konventionelle Streitkräfte bedroht. Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt, wenn sich dort Bedrohungen für unser Land, wie im Falle international organisierter Terroristen, formieren.“ Es handelte sich um einen Paradigmenwechsel der bundesrepublikanischen Außenpolitik, in der man eben nicht mehr nur aus Solidarität gegenüber den Bündnispartnern agieren will, sondern auch um eigene Interessen zu verfolgen. Für diese Neuausrichtung spielt der nationale Geist eine entscheidende Rolle. Denn es gilt die eigenen Bürger zu motivieren für deutsche Interessen – auch militärisch – einzustehen. Neben dem materiellen Nutzen ist die Vaterlandsliebe ein wichtiger Faktor, um eine höhere Opferbereitschaft in der Gesellschaft zu generieren. Es ist dieser Pathos, der die mentale Seite einer schlagkräftigen Armee ausmacht. Wie wichtig dieser Aspekt ist, sehen wir am Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika. Die US-Army betreibt einen regelrechten Märtyrer-Kult um ihre Gefallenen, die vom Rest der patriotischen Gesellschaft als Helden verehrt werden. Die Bundesrepublik sieht in diesem Bereich klaren Nachholbedarf. Wie intensiv sich deutsche Strategen mit diesen Fragestellungen auseinandersetzen geht aus den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ des Bundesministeriums für Verteidigung aus dem Jahre 2011 hervor. Auf Seite 35 heißt es: „Soldaten und zivile Angehörige der Bundeswehr stehen mit ihrem Dienst für die Sicherheit Deutschlands und den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger gemeinsam ein. […] Die Bundeswehr kann ihren Auftrag dann am besten erfüllen, wenn sich ihre Angehörigen auf die Anerkennung ihres Dienstes durch das ganze Volk stützen können.“ Und in dem Strategiepapier „Neuausrichtung der Bundeswehr“, welches im Jahre 2013 von dem Bundesministerium für Verteidigung herausgegeben wurde, heißt es in dem Kapitel „Bundeswehr und Gesellschaft“: „Mit dem Übergang von einer Wehrpflichtarmee zu einer Freiwilligenarmee verändern sich das innere Gefüge und wichtige Berührungspunkte zwischen Bundeswehr und Gesellschaft. Die Neuausrichtung ist damit auch eine geistige Aufgabe. Die Bindungen zwischen Bürger und Soldaten müssen erhalten und wo möglich noch gestärkt werden. Die Bundeswehr muss dort bleiben, wo sie hingehört – in die Mitte der Gesellschaft. […] Die Formel „Wir. Dienen. Deutschland.“ bringt dieses Selbstverständnis der Bundeswehr prägnant zum Ausdruck.“ Es müsse also eine Einbettung der Bundeswehr in die Gesellschaft stattfinden, denn in dem Dokument heißt es weiter, dass das „Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft [entscheidend ist] für die Handlungsfähigkeit Deutschlands und damit wesentlich für unsere Sicherheit.“ In diesem Kontext soll der deutschen Öffentlichkeit ein neues Selbstbewusstsein vermittelt werden, welches in Zukunft auch nicht mehr durch die Fesseln der dunklen Vergangenheit eingeschränkt werden darf. Dies brachte Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Eröffnungsrede zur 50. Münchener Sicherheitskonferenz im Jahre 2014 zum Ausdruck, als er sagte: „Ich muss wohl sehen, dass es bei uns – neben aufrichtigen Pazifisten – jene gibt, die Deutschlands historische Schuld benutzen, um dahinter Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit zu verstecken. In den Worten des deutschen Historikers Heinrich August Winkler ist das eine Haltung, die Deutschland ein fragwürdiges „Recht auf Wegsehen“ bescheinigt. […] Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein […], wenn schließlich der äußerste Fall diskutiert wird – der Einsatz der Bundeswehr –, dann gilt: Deutschland darf weder aus Prinzip „nein“, noch reflexhaft „ja“ sagen. […] Nur wer sich selbst vertraut, gewinnt die Kraft, sich der Welt zuzuwenden.“
Erst unter diesen Voraussetzungen könne Deutschland seine neue Rolle als Gestaltungsmacht auf dem internationalen Parkett einnehmen. Hierbei muss sich die Bundesrepublik als eigenständiger Akteur etablieren, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Die strategische Achillesverse der BRD ist seine Funktion als „ewiger Bündnispartner“, der stets im Dienst der westlichen Wertegemeinschaft seine Ressourcen zur Verfügung stellen muss. Um sich aus diesem bündnispolitischen Korsett zu befreien, welches sie einschränkt, eigene nationale Interessen zu verfolgen, streben die deutschen Strategen eine adaptive Außenpolitik an, in der die Bundesrepublik sowohl mit ihren Verbündeten agieren, aber auch unilaterale Entscheidungen treffen kann. In dem Strategiepapier „Neue Macht, neue Verantwortung“, welches im Jahre 2013 von der Stiftung für Wissenschaft und Politik herausgegeben wurde, heißt es diesbezüglich: „Deutschland [befindet] sich in einer neuen Lage – weil es inzwischen selbst in der Liga der globalen Akteure mitspielt. Das war früher anders. Der Schwerpunkt deutscher Außenpolitik lag vor der Einheit weitgehend auf der Ost-West-Achse; in den Beziehungen zum globalen Süden ging es vor allem um Entwicklungspolitik sowie Anerkennung und Unterstützung in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen. Der Bonner Republik fehlten sowohl das Gewicht als auch die Freiheit für eigenständige Politik gegenüber Partnern außerhalb des europäischen und transatlantischen Rahmens. Deutschlands gewachsene Kraft verleiht ihm heute neue Einflussmöglichkeiten. Auch das ist Anlass für eine Neuvermessung seiner internationalen Beziehungen.“ Zur Verwirklichung dieser neuen, deutschen Außenpolitik ist der Nationalismus als Abgrenzung zu den USA, zur EU und zu Frankreich und Großbritannien unabdingbar. Nur auf diesem Weg, kann Deutschland seine vitalen Interessen gerade gegenüber weltanschaulich äquivalenten Staaten formulieren und gegebenenfalls auch eigenständig verfolgen.
„Könntest du nur sehen, wenn die Ungerechten vor ihren Herrn gestellt werden und untereinander die Worte wechseln! […] Diejenigen, die sich hochmütig verhielten, sagen zu denjenigen, die unterdrückt wurden: „Sind wir es gewesen, die euch von der Rechtleitung abgehalten haben, nachdem sie zu euch gekommen war? Nein! Vielmehr wart ihr Übeltäter.“ Und diejenigen, die unterdrückt wurden, sagen zu denjenigen, die sich hochmütig verhielten: „Nein! Vielmehr waren es (eure) Ränke bei Nacht und bei Tag, da ihr uns befohlen hattet, […].“ (Sura as-Saba 34, Ayat 31-33)
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