Im Oktober 2019 besuchten 23 Mitglieder des Europäischen Parlaments Kaschmir, nur zwei Monate, nachdem die indische Regierung den besonderen autonomen Status dieser Region aufgehoben hatte. Die Reise löste eine Kontroverse aus, als sich herausstellte, dass die meisten Abgeordneten den rechtsextremen politischen Parteien angehörten.
So befanden sich unter den Abgeordneten einige Mitglieder der Rassemblement National (ehemals Front Nationale) aus Frankreich und der Alternative für Deutschland (AfD). Es waren nicht nur die politischen Zugehörigkeiten dieser Besucher, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die Tatsache, dass die Europaabgeordneten freien Zugang zu Kaschmir erhielten, obwohl ausländischen Journalisten und einheimischen Politikern der Zugang zur Region verwehrt wurde und die indische Regierung seit August eine Internetsperre verhängte, war der Grund für die Empörung.
Dieser Besuch war das jüngste Beispiel für die wachsenden Beziehungen zwischen den Rechtsextremen in Indien und Europa. Eine Verbindung, die vor allem auf einer gemeinsamen Feindseligkeit gegenüber muslimischen Einwanderern beruht und in sich ähnelnden transnationalen Ansichten verankert ist. Heute, da der populistische Rechtsradikalismus in Indien und in mehreren europäischen Demokratien auf dem Vormarsch ist, hat sich die rechtsextreme Agenda zunehmend normalisiert und ist ein Teil des politischen Mainstream-Diskurses geworden.
In den 1930er Jahren arbeiteten Hindu-Nationalisten mit Schlüsselfiguren im faschistischen Italien und in Nazideutschland zusammen, um ihre rechtsextremen Projekte voranzutreiben. Einer der Pioniere des hinduistischen Nationalismus, V.D. Savarkar, schrieb einmal, dass Indien seinen Ansatz für sein „muslimisches Problem“ nach dem Vorbild des Ansatzes gestalten sollte, den die Nazis zur Bewältigung ihres „jüdischen Problems“ verwendeten.
In ähnlicher Weise beschrieben europäische Ideologen wie Savitri Devi (in Frankreich als Maximiani Portas geboren) Hitler als eine Inkarnation des Hindu-Gottes Vishnu. Fast vier Jahrzehnte nach ihrem Tod ist ihre Ideologie unter den amerikanischen weißen Nationalisten nach wie vor beliebt. Das Manifest von Anders Behring Breivik, dem norwegischen Terroristen, der im Jahre 2011 77 Menschen blutrünstig tötete, brachte ebenfalls seine Affinität zum hinduistisch-nationalistischen Islam-Diskurs zum Ausdruck, welcher viele zeitgenössische europäische und indische Haltungen gegenüber muslimischen Einwanderern hervorhebt.
„Das einzig Positive an der hinduistischen Rechten ist, dass sie die Straßen dominiert. Sie tolerieren die derzeitige Ungerechtigkeit nicht und randalieren und greifen Muslime oft an, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten. Meist, nachdem die Muslime den Hinduismus zu sehr missachten und erniedrigen“
, schrieb Breivik, bevor er ein Regierungsgebäude in Oslo mit einem Bombenanschlag attackierte und Dutzende von Schülerinnen und Schüler in einem Sommercamp massakrierte.
„Indien wird weiter verwelken und sterben, wenn die indischen Nationalisten sich nicht richtig konsolidieren und zum Sieg stürmen. Es ist wichtig, dass die europäischen und indischen Widerstandsbewegungen voneinander lernen und so weit wie möglich zusammenarbeiten. Unsere Ziele sind mehr oder weniger identisch.“
In jüngerer Vergangenheit hatte Steve Bannon, der ehemalige Chefstratege des Weißen Hauses und Chefredakteur der rechtsextremen Website Breitbart News Network, im Jahr 2015 erwogen, ein Breitbart-Indien zu gründen. Dies tat er kund, nachdem Narendra Modi Premierminister von Indien geworden war. Bannon bewundert Modi schon seit langem und nannte ihn einst den „Trump vor Trump“. Zu den europäischen Unterstützern von Modi und seiner nationalistischen Botschaft gehört auch der Vorsitzende der niederländischen rechtsextremen Partei für die Freiheit (PVV) Geert Wilders.
Der Besuch der Europaabgeordneten in Kaschmir wirft ein Licht auf die Verzahnung der weltweiten rechtsextremen Szene. Obwohl den europäischen Abgeordneten Einladungen im Namen von Madi Sharma, einer in Brüssel ansässigen Unternehmerin und Präsidentin der NGO „Women’s Economic and Social Think Tank (WESTT)“, zugesandt wurden, wurde der Besuch selbst von einer in Neu-Delhi registrierten NGO, dem „International Institute for Non-Aligned Studies (IINS)“, finanziert und organisiert. Dabei handelt es sich um eine Gruppe, die dieselbe IP-Adresse wie die obskure Nachrichtenwebsite New Delhi Times hat. Diese Website wiederum ist an ein globales Netzwerk von Think Tanks, Unternehmen, NGOs und an über 265 lokale Medien in 65 Ländern angeschlossen. Das EU DisinfoLab, welche Untersuchungen zu Desinformationskampagnen durchführt, die sich an die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union richten, kam kürzlich zu dem Schluss, dass die an die New Delhi Times gebundenen Medien versuchen, internationale Institutionen und Abgeordnete zu beeinflussen.
Während die ideologischen Tendenzen der New Delhi Times vage sind, veröffentlicht ihr Mediennetzwerk Inhalte, die die Rolle Pakistans in Kaschmir kritisieren und nimmt dabei regelmäßig islamfeindliche Positionen ein. Auch wenn diese Positionen in der indischen Medienlandschaft mittlerweile nicht mehr ungewöhnlich sind, ist es selten, dass solche Medien auf globaler Ebene eine derartige Lobbyarbeit betreiben. Zwei bemerkenswerte Webseiten in diesem Netzwerk sind „EP Today“ und „Times of Geneva“. Sie unterhalten beide starke Verbindungen zu NGOs und Think-Tanks in Brüssel und Genf und dienen dadurch in der Tat als Lobbyisten für die EU und die Vereinten Nationen.
Sharma versprach den Eingeladenen Abgeordneten zusätzlich zu ihrer Reise nach Kaschmir „ein prestigeträchtiges VIP-Treffen“ mit Modi. Die Abgeordneten erklärten, dass der Zweck des Besuchs darin bestehe, Informationen über die Situation in Kaschmir zu sammeln. Obwohl es sich bei den Abgeordneten technisch gesehen um eine inoffizielle Delegation handelte, erhielten sie die Genehmigung, nicht nur Kaschmir zu bereisen, sondern auch mehrere hochrangige Mitglieder der indischen Regierung und des Militärs zu treffen. Regierungsministerien haben öffentlich erklärt, dass sie nicht an der Organisation des Besuchs beteiligt waren, obwohl eine solche Genehmigung ohne die Zustimmung hochrangiger Behörden unwahrscheinlich ist.
Vor ihrem Besuch in Kaschmir reisten die Abgeordneten nach Neu-Delhi, um Modi zu treffen. Dieser sagte, dass die Delegation „ein besseres Verständnis für die kulturelle und religiöse Vielfalt der Region“ erlangen würde. Während ihres Aufenthalts in Kaschmir unternahm die europäische Delegation eine Führung durch die Hauptstadt Srinagar, bevor sie im Hauptquartier der indischen Armee zu Mittag aß, wo sie Karten von angeblich terroristischen Ausbildungslagern in Pakistan sahen, in denen angebliche Anschläge auf Kaschmir geplant seien.
Mehrere Abgeordnete, darunter der rechtsextreme tschechische Abgeordnete Tomas Zdechovsky und der Abgeordnete der Nationalversammlung Thierry Mariani, nutzten später die sozialen Medien, um ihre Erfahrungen bei der Begegnung mit dem Premierminister zu teilen. Mariani sprach sich beispielsweise auf Twitter für eine Unterstützung der Politik der indischen Regierung in Kaschmir aus. Mariani sagte verschiedenen Reportern auch, dass „wir zu Indien in seinem Kampf gegen Terroristen stehen“, während der AfD-Abgeordnete Lars Patrick Berg die Medien beschuldigte, sie als „muslimhassende Nazis“ zu brandmarken. Sowohl Mariani als auch Berg haben eine stärkere Grenzsicherung in der EU gefordert, welche die Migration mit potenziellen Terroranschlägen in Verruf bringt.
Die Kaschmir-Frage ist ein Schlachtruf für einen Großteil der europäischen Rechtsextremen. Europas Nationalisten teilen eine tiefe Besorgnis über den sogenannten islamistischen Extremismus sowie eine übergreifende Vorstellung von nationaler Stärke. In vielerlei Hinsicht sehen sie Modis harte Haltung in Kaschmir als Zeichen für ihre eigenen Ziele.
Die jüngste Krise in Kaschmir begann, als die Regierung von Modi den Artikel 370 der indischen Verfassung aufhob und damit die Gebiete „Jammu“ und „Kaschmir“ ihren besonderen autonomen Status entzog. Wilders bekundete in einem Tweet am Tag der Ankündigung der Aufhebung der Autonomie Kaschmirs offen seine Unterstützung. Auch die britische Kolumnistin Katie Hopkins drückte ihre Solidarität aus und behauptete vor kurzem, dass Hindus Opfer der ethnischen Säuberungen in Kaschmir seien.
Obwohl der Vorwand für die Verfassungsänderung regionale Unruhen mit sich brachte, fährt die amtierende Regierung Modis hierbei eine nachhaltige und eiserne Strategie. Hinduistische Nationalisten versuchen seit langem, Indiens territoriale Reichweite auf das gesamte damalige von Großbritannien kontrollierte Indien auszudehnen – nicht nur auf Kaschmir, sondern auch auf Pakistan, Bangladesch und andere Teile Südasiens.
Die Rechtsextremen in Indien und Europa lernen voneinander. Gleichzeitig entwickeln sich ihre Vorstellungen, nach einer gemeinsamen ideologischen Agenda zu regieren, die in der Islamfeindlichkeit wurzelt, parallel dazu. Obwohl der Besuch der Europaabgeordneten wegen der Missachtung einiger diplomatischer Normen kritisiert wurde, signalisiert er eine neue Entwicklung in den indisch-europäischen Beziehungen: Rechtsextreme Narrative sind Teil des globalen Mainstreams geworden.
Obwohl transnationale Verbindungen zwischen Nationalisten kontraintuitiv erscheinen mögen, sind ihre Visionen nicht unbedingt widersprüchlich und sie können sich weiterhin ergänzen, solange der muslimische „Andere“ ihr gemeinsamer Feind bleibt. Wenn rechtsextreme Nationalisten ihren Willen durchsetzen, ist es wahrscheinlich, dass die indo-europäischen Beziehungen entlang islamfeindlicher Linien neu gestaltet und weiter ausgebaut werden.