Ist das noch in Ordnung oder schon Diskriminierung? Das Urteil nicht nur von muslimischer Seite ist dort eindeutig, die Anordnung des Richters ist über alle Maßen unangemessen. Doch was ist passiert?
Eine Frau, die aus Syrien nach Deutschland flüchtete und in Brandenburg unterkam, wollte sich von ihrem Mann im Amtsgericht Luckenwalde scheiden lassen. In der Ladung vom 27. Juli, die er der Anwältin Najat Abokal zukommen ließ, hatte der Richter persönliches Erscheinen angeordnet. Paradox war nur folgender Zusatz: „Es wird darauf hingewiesen und zugleich um Beachtung gebeten aus gegebenem Anlass, dass religiös motivierte Bekundungen wie Kopftuch“ im Gerichtssaal und während der Verhandlung „nicht erlaubt werden“. Das Nichtbefolgen könne Ordnungsmaßnahmen nach sich ziehen.
Die Anordnung löste etwaige Widerstände aus. Die Anwältin beanstandete die Anordnung des Richters, denn das Neutralitätsgebot gelte nur für Richter und Staatsanwälte, in keinster Weise aber für die Teilnehmer des Prozesses, die nicht im Staatsdienst tätig sind. Professor Klaus Gärditz an der Friedrich-Wilhelms Universität in Bonn hält die Anordnung für einen Skandal. Die Justiz dürfe „keine Ressentiments eines provinziellen Alltagsrassismus und -sexismus mit prozessualen Mitteln fortsetzen“. Die syrische Frau werde gegen ihren Willen und gegen ihre Religionsfreiheit gezwungen, das Kopftuch abzulegen. „Die damit verbundene sexistische Demütigung ist greifbar“, so Gärditz. Genauso empört waren offensichtlich verschiedene Juristenverbände und das Justizministerium in Potsdam, die den Fall ähnlich beurteilten.
Die Direktorin des Amtsgerichts, Roswitha Neumaier, hält hingegen zu der Entscheidung ihres Richters: „Er hat für Ordnung zu sorgen im Gerichtsaal, wo religiöse Zeichen nichts zu suchen haben.“ Wie ein Kopftuch eine Verhandlung über eine Scheidung stören soll, dürfte aber jedem schleierhaft bleiben.
Welche Gedanken dem Richter bei dieser Anordnung tatsächlich durch den Kopf schwirrten, ist nicht klar zu sagen. Doch auch dieser Vorfall reiht sich ein in eine Liste von antimuslimischen Benachteiligungen, die scheinbar immer gesellschaftsfähiger werden. Die weite Empörung dürfte diesmal nur darauf zurückzuführen sein, dass der Richter trotz seiner juristischen Tätigkeit, hier ganz klar das geltende Recht missachtete.
Eine Mitarbeiterin der Dokustelle für Islamfeindlichkeit & Antimuslimischer Rassismus sagte über diese Entwicklung in einem Interview: „Die politischen Diskurse und die mediale Berichterstattung schaffen mit ihrer rassistischen Sprache eine gesellschaftliche Stimmung. Die Symbolpolitik von Politikern verlagert innenpolitische Themen. Wir sprechen nicht mehr von der Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit von Jugendlichen oder Bildungsqualität an den Schulen, sondern über irrelevante Themen, die im Alltag gar nicht problematisch sind, wie Burkini, etc.“
Auch, dass die Betroffene eine Frau ist, scheint sinnbildlich für das gesamte Klima. Weiter im Interview heißt es: „Ja, bei den uns gemeldeten antimuslimischen Angriffen sind 95% der Betroffenen Frauen. Im letzten Jahr sogar 98%. Es geht um Mehrfachdiskriminierung durch Rassismus und Sexismus.“ Umso paradoxer scheint es, dass Islamfeindlichkeit häufig damit begründet wird, dass der Islam frauenfeindlich sei.
Doch was ist der Ausweg? Eine Antwort scheint so einfach wie selbstverständlich. Die Muslime müssen ein gewisses Selbstverständnis in dieser Gesellschaft entwickeln. Sie müssen begreifen, dass sie in dieser Gesellschaft leben und dass die allermeisten von ihnen und ihren früheren Generationen ein ganzes Stück dazu beigetragen haben, diese Gesellschaft mit aufzubauen. Wir halten uns aus unserer islamischen Überzeugung heraus an das hier geltende Recht und wir können dies erst recht auch von der Mehrheitsgesellschaft hier verlangen. Diskriminierung, Rassismus und Hetze sind mit keinem geltenden Recht oder einer Moralvorstellung vereinbar und dies muss kann ganz klar geäußert werden.
Zu diesem muslimischen Selbstverständnis gehört aber auch, dass wir uns auf keine gesellschaftliche Lösung einlassen dürfen, die vorsieht, dass wir auch nur einen Bruchteil unserer islamischen Überzeugung aufgeben müssen. Wir sind Muslime und dementsprechend sind unsere Ideen und Gefühle islamischer Natur. Wir brauchen niemanden, der von außen kommt und denkt, er könnte die muslimische Community nach seinen Vorstellungen dirigieren. Wir können für uns selbst sprechen! Es wird nun aber Zeit, dies auch unter Beweis zu stellen.