So etwas gebe es „immer, wenn Gefühle angesprochen werden“, aber das Thema „geflüchtete Asylbewerber“ lasse „alles hochkochen“, sagte Alexander Unger, Online-Redakteur bei den Oberpfalz Medien. Diese Worte klingen nicht ohne Grund schon fast erschüttert über die Dynamik, die die sozialen Netzwerke an den Tag legen, wenn mal wieder etwas in den Medien über Geflüchtete gebracht wird. Denn nachdem der schon erschienene Artikel auf Facebook veröffentlicht wurde, gab es innerhalb weniger Stunden mehrere hundert Kommentare, ein Drittel davon waren so aggressiv, verletzend oder beleidigend, dass sie gelöscht werden mussten – und das auf einer Facebookseite, deren Beiträge häufig überhaupt keine Kommentare haben. Über was wurde berichtet?

In dem geposteten Artikel ging es um die Meldung, dass vier Jugendliche in der bayrischen Stadt Amberg am 29. Dezember anscheinend wahllos auf Passanten einschlugen und so mindestens zwölf Menschen verletzten. Dabei wurden elf der Opfer leicht verletzt und ein 17-Jähriger musste kurzzeitig in einem Krankenhaus behandelt werden. Die Täter seien zwischen 17 und 19 Jahre alt und Asylbewerber aus Afghanistan und dem Iran gewesen. Das war es auch, was so viele Leser auf die Barrikaden brachte. Es waren nicht die Taten selbst, die die beiden begangen haben, sondern es waren die Nationalitäten der Täter und ihre Aufenthaltsstatus. Es ist in Bezug auf den unterschwelligen Rassismus der solchen Eskalationen zugrunde liegt immer wieder leidig zu betonen, dass Staatsfunktionäre und Medien ein doppeltes Spiel spielen: Einerseits prangern sie das zugrundeliegende rechte Gedankengut vehement an, auf der anderen Seite fördern sie es nach solchen Vorfällen, wo sie nur können und das mit Mitteln, die völlig überzogen sind. Dieser Vorfall ist ein Paradebeispiel dafür. Schauen wir einmal genauer hin.

Zunächst sollten wir die Geschehnisse in Relation setzen. So ist es bemerkenswert, dass die genauen Abläufe zum großen Teil immer noch im Unklaren liegen. Die einzige Quelle auf die sich diese Online-Hexenjagd stützt ist der Bericht der bayrischen Polizei. Doch diese strotzt nur so vor Ungenauigkeiten. Neben den Formulierungen sind es auch die Inhalte, die korrigiert werden mussten. Während zunächst von einem Täter die Rede ist, sind es am Ende vier und während man von afghanischen, syrischen und iranischen Landsmännern ausging, hieß es später nur noch, es seien Afghanen und Iraner gewesen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass nichts vorgefallen sei, aber es zeigt, wie schnell eine Minderheit in Sippenhaft genommen werden kann, obwohl noch gar nicht richtig klar war, was überhaupt passiert ist.

So unklar auch die Umstände waren, so absolut waren die Medien in ihrer Berichterstattung. So schrieb die Welt, der Focus und der Merkur von einer „Gewaltorgie“, die stattgefunden habe. Die Bild schrieb sogar von einem „Hass-Mob“ und davon, dass eine Subway Mitarbeiterin Jugendliche vor der „brutalen Gewaltorgie“ der „Flüchtlinge“ rettete. Es wurde als absolute Ausnahmesituation dargestellt, als hätte dieses Land mit alkoholisierten Jugendlichen noch nie ein Problem gehabt. Nur ein paar Tage später, rund um Silvester, kam es im selben Regierungsbezirk zu mehreren hundert Polizeieinsätzen. In einem dieser Fälle ging es darum, dass ein 37-jähriger Mann zwei Bulgarinnen lebensgefährlich mit einem Messer verletzte. Davon dürfte so gut wie niemand mitbekommen haben. Aber wen wundert es, denn der Täter war deutscher Herkunft.

Der Amberger Oberbürgermeister, Michael Cerny (CSU), gab gegenüber Spiegel-Online zu, dass die Reaktionen auf die Geschehnisse „völlig überdimensioniert“ seien. Zu der Situation passende und richtig abgewogen Worte konnte Cerny von seinen Kollegen allerdings nicht erwarten. Vielmehr nutzten seine Parteikollegen in Bayern und Berlin die Situation, um weiter im Marschschritt der AfD hinterher zu hecheln und ein schärferes Asylgesetz zu fordern. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) persönlich forderte: „Wenn Asylbewerber Gewaltdelikte begehen, müssen sie unser Land verlassen! Wenn die vorhandenen Gesetze dafür nicht ausreichen, müssen sie geändert werden.“

Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) räumte ein, dass zwar eine Abschiebung rechtlich nicht möglich sei, aber sagte gleichzeitig: „Wir setzen alle Hebel in Bewegung, um das zu ändern.“ Auch er würde, wie sein Parteikollege Seehofer, aus einer persönlichen Präferenz heraus, das deutsche Recht dann gerne ändern.

Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) sprach von drastischer Isolation abgelehnter Asylbewerber und teilte seine Ideen bezüglich „Residenzpflicht, Meldepflichten und elektronischer Fußfesseln“ mit. CSU-Generalsekretär Markus Blume erklärte: „Wer das Gastrecht mit Füßen tritt, hat dieses verwirkt“, benutzte hier also eine ähnliche Formulierung, wie Linken-Fraktionsführerin Sahra Wagenknecht, was zeigt, dass fremdenfeindliche Stimmungen mittlerweile bis ins linke Spektrum greifen.

Natürlich dürfen auch die üblichen Verdächtigen beim Spiel um die absurdeste Empörung nicht fehlen. So meldete sich Rainer Wendt, über den wir hier schon häufiger geschrieben haben (siehe: http://generation-islam.de/rainer-wendt-und-das-maerchen-vom-boesen-muslimischen-genmaterial ) zu Wort und diagnostizierte den Tätern, die er wohl bemerkt nie persönlich getroffen hat und der auch nichts Genaueres über den Tathergang weiß, dass sie „eine tiefe Verachtung für die Menschen, die bei uns leben“ haben. Ihm in nichts nachstehend meldete sich dann die NPD, die diese Vorfälle wieder einmal zum Anlass nahm, ihre Idee von „Bürgerwehren“ auf den Tisch zu bringen. Dabei sollen nach Vorstellung der NPD möglichst eigene Anhänger auf den Straßen patrouillieren, die dann für Ordnung sorgen. Entsprechend peinliche Bilder wurden dann auf Facebook gepostet, auf denen NPD-Anhänger mit Signalwesten zu sehen waren, auf denen stand: „Wir schaffen Schutzzonen“.

Es zeigt sich also, dass Deutschland in einen Ausnahmezustand hinein diskutiert werden kann, je nachdem, wer gerade eine Tat begeht. Dies ist deswegen so gut zu beobachten, weil wir zur selben Zeit, kurz nach den Prügeleien von Amberg, einen anderen Vorfall beobachten mussten. In Bottrop fuhr ein 50-jähriger Mann gezielt in eine Menschengruppe, mit dem Ziel „Ausländer töten“ zu wollen. Acht Menschen wurden verletzt. Darunter ein Vierjähriger, eine Zehnjährige und eine Frau, die sogar lebensgefährliche Verletzungen davontrug. Beide Fälle wurden im Nachhinein häufig im selben Atemzug genannt, so sagte Seehofer der Bild-Zeitung, dass es zur „politischen Glaubwürdigkeit“ gehöre, „beide Fälle mit Entschiedenheit und Härte zu verfolgen“. Allerdings hielten er und mit ihm auch seine Parteikollegen und die entsprechenden Medienleute sich damit zurück, hier ebenfalls von einer „Gewaltorgie“ zu reden.

Da im Amberg-Fall über die Täter kaum etwas in Erfahrung gebracht wurde, bis auf ihre Herkunft und ihre Aufenthaltsstatus, können wir auch nichts über deren Motive oder geistige Zustände sagen. Anders im Fall Bottrop, hier wurde schnell in Erfahrung gebracht, dass der Täter ein miserables Leben führte. Er war geistig verwirrt, arbeitslos und benachteiligt. Dennoch wirkt dieser Fall umso brisanter, weil das Tatmotiv („Ausländer töten“) bekannt und umso erschreckender war. Die Spiegel-Kolumnistin Ferda Ataman resümiert: „Deswegen haben viele Leute zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine fremdenfeindliche, sondern um eine rassistische Straftat handelt. Aber auch das ist eigentlich viel zu schwach: rassistische Straftat klingt eher nach Diskriminierung am Arbeitsplatz. Wenn aber Rassisten People of Color ermorden wollen, dann ist das Terror.

[…] Vor drei Jahren haben wir wegen sexuellen Übergriffen an Silvester monatelang diskutiert und sogar Gesetze geändert. Aber damals waren die Täter halt Ausländer. Also kümmerte sich die Politik mal wieder um mehr Abschiebungen – das Allheilmittel der deutschen Innenpolitik. So wie jetzt im Fall von Amberg, der nur deswegen zur bundesweiten Meldung avancierte, weil die Täter Geflüchtete sind. Und erst mal fragte niemand nach ihrem geistigen Zustand. Vielleicht ging es ihnen ja auch nicht gut. Vielleicht waren sie auch frustriert. Nicht, dass das die Gewalt rechtfertigen würde, keineswegs, aber im Fall des Auto-Terroristen haben wir das schließlich auch sehr schnell erfahren. Das Einzige, was wir in den ersten Tagen von 2019 über die Prügel-Clique aus Amberg wussten, waren Alter, Herkunft und Aufenthaltsstatus.“

Wenn man als Muslim oder als Person mit Migrationshintergrund auf diese Missstände aufmerksam macht, dann wird man von Vielen zu hören bekommen, dass dies nichts als Gejammer sei. Haarspalterei und Pedanterie. Die Muslime sind schon längst ein Teil dieses Landes und es hat nichts mit Schwäche oder Kleinlichkeit zu tun, wenn man darauf aufmerksam macht, dass auf dem Rücken der „Ausländer“, der „Muslime“ oder der „Geflüchteten“ Politik und Stimmung betrieben wird, die wir als Betroffene nicht mittragen können. Niemand der das hier liest soll dieses Aufzeigen von Missständen als „Bettelei“ um Anerkennung verstehen. Nein, vielmehr ist es ein Einfordern von Gerechtigkeit und ein Warnen davor, dass man irreparable Schäden in der Bindung zu einer Minderheit im eigenen Land verursacht, die wächst und zunehmend wichtiger wird. Es wäre so wichtig, dass Politik und Medien die richtigen Schlüsse aus den letzten Wochen ziehen, denn eine Verschärfung des Klimas kann niemand gebrauchen – außer den Scharfmachern.