Liebe Geschwister im Islam, als Teil der hier lebenden Bevölkerung haben wir als muslimische Community, im Gegensatz zu anderen Minderheiten, sicherlich einen besonderen Stand. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es uns als Muslime ausmacht, dass wir bestimmte Wert- und Moralvorstellungen vertreten, mit denen sich Teile der hier lebenden Mehrheitsgesellschaft nicht identifizieren können. So weit, so problemlos. Leider ist es aber ein beliebter Trend geworden, dass es sich so einige Kräfte in Deutschland zur Aufgabe gemacht haben, diesen Unterschied zwischen den Wertvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit einzuschmelzen. Dieser Trend begegnet uns auf verschiedene Weisen. Von plumper Propaganda bis hin zum Versuch die Muslime unter selbsternannten Vertretern zu vereinen, die in keinster Weise die Ideen, Gefühle, die Wünsche und Forderungen der Muslime abbilden.
Eine besondere Erscheinungsform dieses Trends ist es, dass man versucht, die Muslime in ihrer Ausübung des Islam durch Gesetzesänderungen, die oft nur durch suspekte Interpretationen des eigenen Gesetzes möglich wären, einzuschränken. Im Fokus stehen dabei unter anderem einzelne Praktiken der Muslime, wie das Schächten, das Beten in öffentlichen Einrichtungen, die Beschneidung oder das Paradebeispiel: das Kopftuch. Genau um dieses – das Kopftuch – geht es in diesem kurzen Artikel. Dabei möchten wir an dieser Stelle einmal beispielhaft einige fadenscheinige Argumente anführen, wie sie im öffentlichen Diskurs tatsächlich getätigt werden, um zu begründen, warum es in Ordnung sei, muslimischen Mädchen und Frauen stückweise das Tragen des Kopftuchs zu untersagen.
Um dies leisten zu können bedienen wir uns einem Kommentar, der vor wenigen Tagen im „Spiegel Daily“ erschienen ist. Der Artikel ist von Timo Lokoschat, dem Redaktionsleiter von „Spiegel Daily“ verfasst und trägt den Titel: „Schule ohne Verhüllung – Feministinnen fordern ein Kopftuchverbot für minderjährige Schülerinnen. Zu Recht. Ein Kommentar.“
Die Argumentation beginnt damit, mögliche Einwände gegen die Idee eines Kopftuchverbotes für Schülerinnen im Vorfeld aus dem Weg zu räumen. Das einzige, was dem Autor hier einfällt (und was ihm ganze zwei Absätze wert ist), ist die Argumentation des „Beifalls von der falschen Seite.“ Unter diesem versteht er folgendes: „wenn Internet-Trolle […] plötzlich zu eingefleischten Feministen mutieren. Frauenrechte? Dass die total wichtig sind, fällt manchen Zeitgenossen komischerweise nur dann ein, wenn es gegen den Islam geht.“ Die Gegner eines Kopftuchverbotes für Schülerinnen würden dann auf diese Doppelmoral hinweisen, um ihren eigenen Standpunkt zu stärken.
Sehen wir einmal davon ab, dass sich Doppelmoral, wenn es um den Islam geht, tatsächlich im öffentlichen Diskurs etabliert hat und zwar nicht nur von irgendwelchen Internet-Trollen, sondern auch bei so einigen Meinungs- und Entscheidungsträgern der Gesellschaft. Das Problem an dieser Stelle liegt darin, dass man es so aussehen lassen möchte, als hätten die Gegner eines Kopftuchverbotes inhaltlich keine besseren Argumente zu bieten, als plumpe Beschuldigungen und Schuldzuweisungen. Doch dazu gleich mehr.
Der Kommentar geht weiter und Herr Lokoschat führt seine Argumente, die er bei der Organisation „Terre de Femmes“ aufgegriffen hat, weiter aus: „Die Organisation argumentiert, dass Schulen ein Raum sein müssten, in dem junge Mädchen ein weltliches Gesellschaftsmodell erfahren können. Es sei Aufgabe eines aufgeklärten Staates, dass alle Schülerinnen unter denselben Bedingungen aufwachsen können.“
Diese Überspitzung ist nur allzu typisch, als würden die Mädchen, die heutzutage zur Schule gehen und ein Kopftuch tragen in der Schule kein weltliches Gesellschaftsmodell erleben. Als würde das Erleben des deutschen Gesellschaftsmodells von der Kleidung der betroffenen Personen abhängen. Dann ist dort aber noch die Rede von gleichen Bedingungen, die geschaffen werden sollen. Welche Bedingungen sollen das sein? Die Bedingungen, die die Schüler spüren lassen, wie souverän damit umgegangen werden kann, dass es verschiedenste Überzeugungen gibt? Oder Bedingungen, die die Schüler spüren lassen, dass ihr kultureller Background in der Öffentlichkeit nicht erwünscht ist und wie es der Staat sich immer mehr herausnimmt in die Privatangelegenheiten der Menschen einzugreifen? Entscheiden Sie Herr Lokoschat, was ist „aufgeklärt“?
Außerdem: Wenn das Argument sein soll, dass man die Kinder weltanschaulich neutral unterrichten möchte, dann kann dies nur zum scheitern verurteilt sein. Denn was ist weltanschaulich neutral? Ist es weltanschaulich neutral, durch ein Verbot des Kopftuchs vorzugaukeln, dass jeder dem selben Wertesystem zusagt? Nur um dann im nächsten Moment die eigene säkulare Weltanschauung den Kindern und Eltern als weltanschaulich neutralen „Erziehungsauftrag“ zu verkaufen?
Neuer Absatz, neues Argument, neue Überschrift: „Der Druck auf Schülerinnen ohne Kopftuch nimmt zu“. Zitat: „Und ist es wirklich so realitätsfremd, wenn die Frauen von Terre des Femmes behaupten, dass jedes Kopftuch mehr auf dem Schulhof den Druck auf die muslimischen Schülerinnen erhöhe, die keines tragen?“ Was Sie beschreiben Herr Lokoschat ist das selbe Phänomen, das bei jedem beliebigen Trend auftritt. Schuhe, Handys, Markenklamotten, Frisuren usw. Dies sind aber auch jeweils spezifische Unterfangen, die man je nach Realität lokal klären muss. Es kann doch nicht ernsthaft behauptet werden, dass der Staat dafür zuständig ist, Trends gesetzlich zu untersagen oder Mobbing damit vorzubeugen, dass man jedem Schüler diktiert, was er von seiner Religion praktizieren kann und was nicht.
„Die Verhüllung ist nicht bloß Mode, sondern hat eine politische und religiöse Dimension.“, heißt es weiter. Religiöse Dimension? Natürlich. Politische Dimension? Dem Islam sind politische Ideen nicht fremd, aber das Kopftuch gehört gerade nicht dazu. Vielmehr wurde daraus ein politisches Symbol gemacht. Von den Muslimen wurde das Kopftuch mit Sicherheit nicht als politisches Symbol gedeutet. Deswegen: Möchte man das Kopftuch als politisches Symbol verbannen, dann sollte man aufhören es als eines zu sehen.
Gerade das zeigt, wie wichtig es ist, den Islam aus sich selbst heraus zu verstehen und nicht zu versuchen mit westlichen Maßstäben islamische Gebote zu interpretieren. Dies zeigt auch folgendes Zitat aus dem Kommentar: „Das Konzept Kopftuch, von einer männerdominierten Gesellschaft erdacht, definiert den weiblichen Körper als sündhaft und stempelt den Mann zum potenziellen Triebtäter, der sich nicht im Zaum halten könne, wenn er Frauenhaar erblickt.“ Richtig gelesen. Das ist kein Kommentar unter einem Posting der AfD auf Facebook, sondern kommt vom Redaktionsleiter des Spiegel Daily.
Erst einmal sehen die Muslime alle Gebote des Islam, auch die Bekleidungsvorschriften, einfach nur als Chance göttlichen Gesetzen nachzukommen. Wenn man aber unbedingt eine Interpretation geben möchte, dann die, dass das Kopftuch gerade dafür da ist, die Frau nicht als Sex-Objekt zu sehen, wie es in dieser Gesellschaft der Fall ist. Diese Logik wurde im Kommentar aber völlig missachtet und umgedreht. Vielmehr entspringt diese Interpretation aus der sexualisierten Sicht des Westens auf die Bedeckung der Frau im Islam.
In der ganzen Debatte erkennt man folgendes:
1. Es werden Themen zu gesellschaftlichen Problemen erhoben, die keine sind. Anstatt über. wichtige Angelegenheiten zu reden, scheint es so, als würde man Diskussionen, wie die rund um das Kopftuch, künstlich aufrechterhalten wollen, um diese dann als Ventil der Ablenkung zu benutzen. Eine Mitarbeiterin der Dokustelle für Islamfeindlichkeit & Antimuslimischer Rassismus sagte in einem Interview passend dazu: „Die Symbolpolitik von Politikern verlagert innenpolitische Themen. Wir sprechen nicht mehr von der Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit von Jugendlichen oder Bildungsqualität an den Schulen, sondern über irrelevante Themen, die im Alltag gar nicht problematisch sind, wie Burkini, etc.“
2. Es wird der Trend deutlich, dass man immer mehr versucht islamische Tendenzen in der Gesellschaft gesetzlich zu unterbinden, und zwar schleichend. Es werden Dinge verboten, die für die Muslime keine praktische Relevanz haben. Dann Dinge, die nur einige Muslime betreffen, wie das erleichterte Verbieten des Kopftuchs am Arbeitsplatz, das Verbot der Vollverschleierung in einigen Ländern usw. Dieser Tendenz muss entgegengewirkt werden. Dies bedeutet aber vor allem auch, dass man sich für die Muslime insgesamt einsetzt, egal, ob man nun selbst betroffen ist oder nicht.
3. Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen wäre aus demokratischer Sicht völlig sinnentleert. So schreibt die „wsws.org“ als Beispiel schon 2004 zum damaligen Verbot des Kopftuchs an französischen Schulen: „Vom Standpunkt demokratischer Rechte verletzt das Gesetz das Grundrecht auf Religionsfreiheit und verleiht dem französischen Staat neue Vollmachten, um die individuelle Meinungs- und Ausdrucksfreiheit einzuschränken. […] Säkularismus – die Trennung von Kirche und Staat – ist etwas völlig anderes als ein Regierungserlass, der das Recht des Individuums beschneidet, seinen Glauben ohne Beeinträchtigung anderer zum Ausdruck zu bringen. Die Gleichsetzung von Säkularismus und Kopftuchverbot ist falsch.“ Weiter heißt es: „Viele Verfechter des Gesetzes behaupten, es richte sich gegen die Unterdrückung der Frau, weil das Kopftuch ein Symbol dieser Unterdrückung sei. Ein sophistisches Argument: Man kann doch einem Gesetz, das eine ganze Gruppe wegen ihrer religiösen Gebräuche mit einem Stigma belegt, keinen demokratischen und „befreienden“ Zug andichten!“