Geliebte Muslime!

Erinnert euch an die großartigen Leistungen die ihr, eure Eltern und Großeltern in diesem Land erbracht habt. Sie sind zu großen Scharen als Arbeiter in dieses Land gekommen und viele haben aus reiner Gottesfurcht Moscheen, Vereine, Restaurants, Kindergärten, Unternehmen und vieles mehr gegründet. Dies, weil sie sich um ihren Iman und euren Iman Sorgen machten. Nicht viele haben gewusst, dass sie auf Dauer in diesem Land bleiben und Familien gründen werden. Doch wussten sie, dass ein islamisches Leben nur dadurch möglich sein wird, wenn man gesellschaftliche Komponenten miteinbezieht. Sie wussten, dass man die Einhaltung der Grenzen des Islam leicht machen muss. So haben sie alles dafür getan, um den Islam ihrer Familien zu schützen. Erinnert euch daran, wenn ihr die Moscheen in euren Umgebungen betretet, erinnert euch daran, wenn ihr in eurem Laden Halal-Produkte kauft und erinnert euch daran, wenn ihr demnächst einen islamischen Unterricht besucht. Erinnert euch daran, welche politische Weitsicht sie damit bewiesen haben. Denn nur durch ihre Leistungen ist es gelungen, die islamische Identität über mehrere Generationen hinweg zu bewahren und nur durch ihre Vorarbeit hatten all die Jugendlichen, die in den letzten Jahren zurück zum Islam gefunden haben, die Möglichkeit ihren Glauben in diesem Maße auszuleben.

Erinnert euch daran! Denn durch diese politische Weitsicht haben eure Eltern und Großeltern euch ihr größtes Erbe vermacht und das sind die facettenreichen Möglichkeiten einem islamischen Leben in diesem Land nachzugehen. Doch genau dieses Erbe ist es, welches nun immer wieder versucht wird, euch aus euren Händen zu reißen. Der gesellschaftliche und politische Druck, der auf die Muslime ausgeübt wird, wenn sie in dieser Zeit an ihrem Iman und ihrem Islam festhalten wollen, hat sich spürbar erhöht. In regelmäßigen Abständen werden islamische Praktiken zu gesellschaftlichen Problemen erhoben und es wird in scheinheiligen Debatten so getan, als würden Einschränkungen der Muslime in der Ausübung ihres islamischen Lebens oder in der Erziehung ihrer Kinder notwendig sein, um hochtrabende moralische Werte zu schützen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, es ist reiner machthungriger Opportunismus der diese Akteure dazu bewegt, diese Debatten auf dem Rücken der Muslime auszutragen. Sie wittern politischen Profit und springen, in voller Verachtung ihrer eigenen Werte, ihres eigenen Rechts und entgegen der Aussagen, die sie noch vor teilweise wenigen Monaten getroffen haben, auf den Zug des Islamhasses von weit rechts-außen auf.

Anders ist nicht zu erklären, dass nach dem Vorstoß aus Österreich, wo die konservative ÖVP und die rechte Partei FPÖ dafür gesorgt haben, dass ein Gesetz im österreichischen Parlament durchgesetzt wurde, welches beinhaltet, dass religiöse Kopfbedeckungen an österreichischen Grundschulen verboten sein sollen, auch die Regierung in NRW nachzieht. Dabei gilt das Verbot in Österreich nicht etwa für die jüdische Kippa, denn es muss sich um ein Kleidungsstück handeln, welches das gesamte Haupthaar oder große Teile davon bedeckt. Im Klartext: Man möchte lediglich keine muslimischen Kopftücher an den Grundschulen Österreichs sehen! Die Regierung in NRW möchte nun ein äquivalentes Verbot prüfen lassen, welches Kindern unter 14 Jahren verbieten soll, ein Kopftuch an einer öffentlichen Schule in NRW zu tragen. Diesen Vorstoß gab es auch schon vor einem Jahr, doch damals gab es nicht die Möglichkeiten, ein entsprechendes Gesetz tatsächlich zu verabschieden. Tun wir also alles dafür, dass der Rückhalt in der Bevölkerung für solche offen diskriminierenden Gesetze schwindet und die involvierten Politiker sich endlich von Debatten um solche Scheinprobleme abwenden, damit sie die tatsächlichen Probleme ihrer Bevölkerung wahrnehmen können.

Es geht nicht um Werte oder Recht

Beobachtet man die Debatten um Kopftücher in Kindergärten und Grundschulen kann man den Eindruck bekommen, dass von dieser Frage das gesamte Schicksal der westlichen Welt abhängt. In den höchsten politischen Kreisen wird dieses kaum vorhandene Phänomen immer wieder diskutiert und die größten Spitzenpolitiker sahen sich dazu veranlasst zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Es werden Gutachten von islamfeindlichen Politikern und Organisationen an genauso islamfeindliche Verfassungsrechtler in Auftrag gegeben, um zu bestätigen, dass man die eigene Verfassung umdeuten kann, um solch ein Verbot durchzudrücken. Als hätte dieses Thema tatsächlich eine politische Relevanz bauschen sie es auf, bis ein Verfolger der Debatte den Eindruck bekommen kann, dass eine Handvoll Grundschulkinder ein ganzes Land in seinen Werten existentiell bedroht. So lächerlich dies auch klingt, so lächerlich sind die Aussagen der Politiker und vor allem der Fakt, dass sie sich überhaupt zu diesem Thema äußern. So verfolgte der österreichische Kanzler Kurz schon seit über einem Jahr das konkrete Ziel ein Kopftuchverbot in Grundschulen zu erlassen und war nun erfolgreich damit. Aber auch hier in Deutschland ist es so weit gekommen, dass sich selbst Personen wie die Parteivorsitzende der CDU Annegret Kramp-Karrenbauer zur Debatte äußerte und ohne empirische Belege Behauptungen in den Raum warf, als sie sagte:

„Kopftücher im Kindergarten oder in der Grundschule haben mit Religion oder Religionsfreiheit nichts zu tun, das sehen auch viele Muslime so“.

So sind bei den meisten Akteuren nicht die politischen Konsequenzen oder tatsächlich die Argumente und die dahinterstehenden Werte entscheidend für ihre Meinung, sondern reiner Opportunismus. Sie schämen sich nicht einmal sich innerhalb weniger Monate selbst zu widersprechen und den Muslimen so in den Rücken zu fallen. So hat die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Anette Widmann-Mauz vor einem Jahr die Frage nach einem möglichen Kopftuchverbot abgelehnt und auf das herrschende Verfassungsrecht verwiesen. Nur knapp ein Jahr später sagte sie:

Dass kleine Mädchen Kopftuch tragen, ist absurd – das sehen auch die meisten Muslime so. Alle Maßnahmen, die Mädchen davor schützen – vom Elterngespräch bis zum Verbot – sollten geprüft und angegangen werden“.

Rechtliche Entscheidungen hängen natürlich auch immer von der Atmosphäre in einem Land ab. Doch interessant ist, dass ein Kopftuchverbot wohl klar den deutschen Gesetzen widersprechen würde und sich die genannten Politiker trotzdem im Wissen dessen für ein Verbot einsetzen. Wie viel kann da das eigens als hochstehend erachtende Recht in ihren Augen dann wert sein?

Die Argumentation, dass ein Kopftuchverbot legitim sei, da das Tragen eines Kopftuches für ein Mädchen unter 14 Jahren noch keine religiöse Pflicht darstelle und somit nicht vom verfassungsrechtlich garantierten Schutz der Religionsfreiheit abgedeckt wäre ist kaum haltbar. Einerseits kollidiert diese Annahme mit der islamisch-theologischen Praxis, die besagt, dass ein Kind mit dem Eintritt in die Pubertät rechenschaftspflichtig wird und dies ist kaum an einer starren Grenze von 14 Jahren festzumachen. Auf der anderen Seite ist auch das religiöse Verhalten nicht religionsmündiger Kinder, wie etwa das Tragen eines Kopftuches für ein Kind deutlich unter 14 Jahren vom Art.4 GG grundsätzlich geschützt. Dabei geht die Idee der Religionsmündigkeit ab dem Alter von 14 Jahren aus § 5 des Gesetzes über religiöse Kindererziehung (RelKErzG) hervor, genauso wie die vorgelagerte Grenze von 12 Jahren, mit der sich § 5 Satz 2 RelKErzG beschäftigt. Danach kann sich das minderjährige Kind ab dem Vollenden des 14. Lebensjahres frei entscheiden, an welches Bekenntnis es sich halten will und ab dem 12. Lebensjahr darf ein Kind nicht mehr gegen seinen Willen in einem bestimmten Bekenntnis erzogen werden. Es kann sich gegen elterliche religiöse Erziehung wehren und einen gegenteiligen Willen äußern. Allerdings können diese Grenzen auch nach hiesigem Recht nicht dafür herangezogen werden, dass der Wille eines Kindes unterhalb diesen Grenzen minderes Gewicht hat. Diese Grenzen sind normiert und dienen lediglich dazu festzulegen, wann die Beurteilungs- und Einsichtsfähigkeit eines Kindes typischerweise eintritt.

Wer die Neutralität des Staates ins Feld der Argumentationen holt muss sich im Klaren sein, dass ein Kopftuchverbot die Linie, wie Neutralität in Deutschland gelebt wurde drastisch ändert. Die laizistische Variante des Neutralitätsgebotes, wie sie etwa in Frankreich gelebt wird, bedeutet, dass der Staat sich von religiösen Praktiken grundsätzlich distanziert. In Deutschland hingegen war es bis zu diesem Zeitpunkt so, dass Neutralität vor allem die Akzeptanz grundsätzlich jeglicher religiösen Praxis bedeutete. Wenn die Muslime in ihren Rechten nun aber immer weiter beschnitten werden, sei es durch ein Verbot von Kopftüchern oder anderer Praktiken, dann muss dies zwangsläufig auch in einer Beschneidung der Rechte anderer Religionsgemeinschaften enden. Denn durch das Neutralitätsgebot ist der Staat dazu angehalten mit allen Gemeinschaften gleich umzugehen.

Gleichzeitig bedeutet Neutralität auch, dass der Staat keine religiösen Ansichten und somit auch keine religiösen Erziehungen grundsätzlich als „gut“ oder „schlecht“ bewerten darf. Dies macht eine andere Argumentation, die auf ein Kopftuchverbot von Kindern unter 14 Jahren abzielt fast unmöglich: Denn immer wieder wird gesagt, dass man solch ein Verbot durchbringen müsse, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten. Doch worin besteht das Wohl des Kindes? Wächst das Kind in einer islamischen Familie auf und sind die sozialen Kontakte vorwiegend demgemäß gestrickt, dann kann es sogar sehr wohl gegen das Wohl des Kindes sprechen, wenn man es ihm verbietet ein Kopftuch zu tragen. Denn das Tragen eines Kopftuches kann identitätsstiftend sein und zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragen. Der Staat hat nicht die Befugnis an dieser Stelle zu bewerten, ob eine islamische Erziehung zum Kindeswohl beiträgt oder nicht, die Eltern hingegen schon.

Schließlich kann auch nicht dahingehend argumentiert werden, dass ein Mädchen, das in einer Schule ein Kopftuch trägt von anderen marginalisiert werden würde. Wenn dies der Fall ist, dann ist ein Gesetz, das den Opfern dieser Diskriminierung verbietet, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen ein Gesetz, dass die Täter schützt und nicht die Opfer. Ein Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung kann nicht daran geknüpft sein, dass man dem Bild der Mehrheitsgesellschaft entspricht. Und wer tatsächlich meint, dass man das Kopftuch für Kinder verbieten solle, weil es ein Symbol der Unterdrückung sei, da in anderen Ländern Frauen zum Kopftuch gezwungen werden, der macht kleine Mädchen in deutschen Kindergärten und Grundschulen zu Mittätern einer internationalen Politik, von der sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört haben.

Geliebte Muslime, wir müssen diese Debatte differenziert und politisch weitsichtig betrachten. Dass ein solches Verbot tatsächlich existente Probleme löst ist ein Märchen und jeder weiß, dass es ein Märchen ist. Dass die ganzen Argumente, die von Seiten der Politik genannt werden nur vorgeschoben sind, ist ebenfalls eindeutig. Genauso unwichtig ist es aber auch, dass kaum jemand von diesem Verbot betroffen sein würde. Es ist auch unwichtig, ob diejenigen, die von so einem Verbot betroffen sind, islamisch verpflichtet sind, ein Kopftuch zu tragen. Es geht auch nicht darum nun festzulegen, wie die Eltern ihre Kinder zu erziehen haben. Sondern es geht einzig und allein darum, die Schritte der Politik, die als nächstes folgen werden, falls sich niemand gegen dieses Verbot zur Wehr setzt, zu verhindern. Denn in einem nächsten Schritt geht es lediglich darum, dann auch die muslimische Frau selbst immer weiter aus der Öffentlichkeit zu verbannen.

Erinnert euch in diesen Zeiten an die politische Weitsichtigkeit, die eure Eltern und Großeltern bewiesen haben und machen wir es ihnen nach. Halten wir zusammen! Lasst es uns nicht zulassen, dass uns das stückweise weggenommen wird, was sie uns hinterlassen haben! Lasst nicht zu, dass sich Gräben aufmachen, an denen diese Gesellschaft zerbricht, Gräben, die mit jeder neuen Scheindebatte tiefer geschaufelt werden.

In der muslimischen Community setzen sich immer mehr Muslime gemeinsam für Ihre Rechte und den Schutz ihrer Lebensweise ein. Wer weitere Zeichen setzen möchte, soll sich stets auf dem neusten Stand befinden in Bezug auf dieses unmenschliche Verbotsbegehren oder ähnliche Bestrebungen.


#NichtOhneMeinKopftuch