Es ist soweit. Nachdem am 24. September letzten Jahres die Bundestagswahl stattfand, folgten Monate, in denen sich viele fragten, wie es mit der politischen Zukunft Deutschlands weitergehen werde. Neben ungewohnten Realitäten, wie die einer neuen rassistischen und islamophoben Partei im Bundestag, war es auch über Monate nicht klar, wer nun Deutschlands neue Regierung bilden würde. Zunächst scheiterten Verhandlungen zu einer Jamaika-Koalition in den letzten Momenten, dann sahen viele schon Neuwahlen vor der Tür stehen, schließlich einigten sich aber dann die CDU/CSU und die SPD auf eine Große Koalition, die nun eine weitere Legislaturperiode die Regierung der Bundesrepublik bilden wird. Natürlich liegt dieser Regierung auch ein Koalitionsvertrag zu Grunde. Ein erster Entwurf kam schon Anfang Februar an die Öffentlichkeit. Der Vertrag selbst wurde nun diesen Montag unterschrieben. Dies ist Grund genug einmal den neuen Koalitionsvertrag genauer unter die Lupe zu nehmen und diesen aus islamischer Perspektive und als in Deutschland lebende Muslime zu bewerten.
Der Koalitionsvertrag
„Islam“ wird an sieben Stellen im Koalitionsvertrag angesprochen. An fünf Stellen dabei im Kontext von Extremismus, Islamismus, Terrorismus oder einem radikalen Islam. Nur einmal wird „Islam“ in Bezug auf die antiislamischen Stimmungen erwähnt. „Muslime“ wird in dem Papier nur einmal erwähnt und dies im Kontext von Integration. „Moschee“ wird nur einmal erwähnt und dies in Bezug auf „radikale“ Moscheen, die beobachtet werden müssen. Das Wort „Imam“ wird im gleichen Absatz erwähnt, mit dem Bezug, dass für diese die deutsche Sprache als Voraussetzung dienen soll.
Die wichtigsten Zitate sind die folgenden:
„Wir werden den radikalen Islam in Deutschland zurückdrängen. Wir erwarten, dass Imame aus dem Ausland Deutsch sprechen. Radikalisierte Moscheen werden wir beobachten und gegebenenfalls schließen. Hierzu werden wir die Praxis zwischen Bund und Ländern abstimmen.“
„Gerade im weiter wachsenden Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus wollen wir Prävention und Deradikalisierung weiter stärken, national und auf EU-Ebene.“
„Zur Verbesserung der Sicherheit in unserem Land wird das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Bereich der […] Analyse […] des islamistischen Terrorismus […] seine Steuerungsfunktion verstärkt wahrnehmen, auch bei solchen, die zunächst keinen unmittelbaren Gewaltbezug aufweisen. […] Zudem wollen wir die Befugnisse des Verfassungsschutzes des Bundes und der Länder vereinheitlichen, insbesondere bei der Datenerhebung und Datenspeicherung.“
Handelt die Bundesregierung der Realität entsprechend?
Wer gehofft hat, dass die aggressive Sprechweise der Altparteien über Muslime und den Islam im Wahlkampf bleibt, um der AfD ihre Sympathisanten abzuwerben, der wurde nun also eines besseren belehrt. Doch was sagen uns die obigen Aussagen über die Situation der Muslime in der Zukunft und die Sichtweise der Regierung auf den Islam?
Zunächst einmal ist deutlich erkennbar, dass der Islam und die Muslime in der derzeitigen Politik der Bundesregierung kaum eine relevante Bedeutung haben. Die Muslime sind keine gesellschaftliche Gruppe, die man versucht dort abzuholen, wo sie sich befinden. Der Stand der Muslime ist schlecht, dennoch sind die einzigen Kontexte in denen man sie erwähnt, welche, die darauf abzielen, wie man sich vor dem „radikalen Islamismus“ schützen könne. Egal wie sehr einige auch betonen mögen, dass der Islam zu Deutschland gehöre, wenn es nicht einmal die Regierung schafft, sich aktiv für eine große Minderheit im Land einzusetzen und man sich wie eine Feder im Wind von der Stimmungsmache einiger Leute Jahr für Jahr weiter beeinflussen lässt, dann ist dies keine Politik, die die Muslime unterstützen können. Im Gegenteil: Was versucht wird ist vielmehr, das Interpretationsmonopol über die islamischen Quelltexte an sich zu nehmen und für diese einen, mit ihren Zielen vereinbaren Rahmen, festzulegen. Durch diese Haltung spricht man den Muslimen fast schon ab, selbstbestimmt ihre Weltanschauung zu denken. Doch muss man sich dann nicht wundern, wenn auch das Misstrauen der Muslime gegenüber der Regierung allmählich schwindet.
Des Weiteren ist es durchaus problematisch wenn die Bundesregierung sagt, dass sie, wie oben zitiert, den Islamismus zurückdrängen will, auch bei solchen Gruppen oder Moscheen, die keinen Gewaltbezug aufweisen. Dies ist an sich schon höchst problematisch und sieht offenkundig nach einem Generalverdacht gehen alle Muslime aus, die dem Gesinnungsdiktat der BRD nicht folgen. Denn was als „islamistisch“ gilt und was nicht, wurde nirgends klar festgehalten. Das öffnet die Tür für ein opportunistisches Verhalten, wenn es darauf ankommt, einzelne Fälle zu beurteilen. Die bewusst ausgelassenen Richtlinien seitens der Bundesrepublik machen es den Muslimen nicht nur unmöglich, sich darauf einzustellen, sondern sie können sich auch nicht auf Richtlinien berufen, die sie eingehalten haben, wenn es einmal zu Vorwürfen des „Islamismus“ kommt. Sie sind somit ein Spielball der Willkür der Politik. Der Verdacht liegt nahe, dass der Grund warum die Bundesregierung nicht klar benennt, was geht und was nicht geht, ist, dass es nicht nur um das banale Einhalten von Gesetzen geht, sondern darum, auch klassischen Ansichten des Islam den Stempel „islamistisch“ aufzudrücken und damit zurückzudrängen. Nämlich denen, die nicht in die eigenen Vorstellungen passen. Nicht umsonst versucht man unter anderem Pseudointellektuelle auf Biegen und Brechen im Spiel zu halten, obwohl deren Auftritte von Mal zu Mal grotesker werden.
Wie dem auch sei. Weltanschauliche Ansichten dürfen bekanntermaßen nicht verboten werden, dies hindert die Regierung daran, unbequeme Positionen der Muslime per Erlass zu verbannen. Für die politische Praxis aber, möchte man sich diese Tür offen halten.
Doch was können wir Muslime tun? Was können wir bis zum Entwurf des nächsten Koalitionsvertrags leisten, damit wir in vier Jahren nicht wieder als eine Gruppe in Deutschland dastehen, die nicht adäquat wahrgenommen wird? Das Problem ist, dass wir kein Verband und keine Vertretung haben, die die Angelegenheiten der Muslime in diesem Land gegenüber der Politik vernünftig vertritt. Die meisten Verbände sind ineffektiv, teils unislamisch und haben keinen breiten Rückhalt in der muslimischen Community. Hätten wir diese Vertretung aber, wäre es ungemein leichter unsere Position zu verbessern. Doch es liegt auch an uns, dies zu verwirklichen. Eine Zusammenarbeit auf Grundlage des Islam mit der nötigen Bereitschaft mit unterschiedlichen Strömungen und Gruppierungen zusammen zu arbeiten ist erforderlich und notwendig.
Obwohl man in einigen Gemeinden und Organisationen zur islamrechtlich problematischen Teilnahme an den Wahlen, somit zur Wahl von etablierten Parteien aufgerufen hat und diese sogar nun die Regierung stellen, liest sich der Koalitionsvertrag so, als ob die AfD mit einer absoluten Mehrheit die nächste Regierung der BRD stellen würde.
Dabei kann man auch anders die Interessenvertretung der Muslime wahrnehmen, ohne unislamische Wege zu gehen. Denn die Folge daraus ist, dass man keine Einheit unter den Muslimen hat, da die meisten Muslime sich von solchen unmoralischen Vorgehensweisen nicht ansprechen lassen und man kein Gelingen in seiner Angelegenheit haben wird, wenn man, warum auch immer, Allah (swt) durch solch ein krummes Vorgehen nicht zufrieden stimmt. Denn bekanntlich kommt das Gelingen (at-Taufiq) von Allah (swt).