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Das Gemeinwohl wird dadurch gesteigert, dass das einzelne Individuum sich in friedvoller Weise um seine eigenen Interessen kümmert und so versucht, diese maximal zu verwirklichen. Also wenn jeder sein Bestes gibt, um so seine persönlichen Ziele zu erreichen, wird nicht nur sein Wohl gesteigert, sondern das Wohl der Gemeinschaft. So oder so ähnlich könnte man eventuell die Grundidee des Liberalismus auffassen. Auf den ersten Blick macht diese Behauptung auch Sinn:

Wenn zwei konkurrierende Produzenten einer Branche versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen, dann werden sie automatisch das Gemeinwohl der Bevölkerung steigern, da das Übertrumpfen darin besteht, entweder durch günstigere Preise, durch ein vielfältigeres Angebot oder durch bessere Qualität, das Angebot auf den Endverbraucher zuzuschneiden. Diese Prozesse des Wettbewerbs müssen möglichst ungestört verlaufen, sodass sich der Markt im Endeffekt dadurch selbst regulieren kann und das Gemeinwohl dadurch steigt, dass die einzelnen Produzenten ihre eigenen Interessen verfolgt haben.

Soviel zur Theorie. Was die Praxis angeht, scheint dieses Konzept nicht so rosig zu funktionieren. Am eigenen Leib konnten das die europäischen Staaten, darunter Deutschland, vor allem zu Zeiten der Industrialisierung spüren, als versucht wurde, diese Idee in die Praxis umzusetzen. Die „Marktwirtschaft“ zu dieser Zeit wurde nur in einem sehr geringen Maße kontrolliert, genauso wie Arbeits- und Lohnbedingungen. Die Arbeitsteilung erreichte durch die neue maschinelle Anfertigung von Produkten ein neues Level. Also alles Dinge, die der Liberalismus als perfekte Bedingungen einer funktionierenden Wirtschaft beschreiben würde. Die Folge aber waren elendige wirtschaftliche und soziale Bedingungen der Arbeiter: Wohnungen, deren Größe lebensunwürdig waren, genauso wie der Lohn, die soziale und medizinische Absicherung. Kinderarbeit und Selbstmordrate stiegen in die Höhe. Normalisiert haben sich diese Verhältnisse erst, als man diesen zügellosen Liberalismus langsam durch staatliche Maßnahmen eingedämmt hat.

Egoismus als Lebenseinstellung

Auch wenn die später eingeführten, leicht veränderten, aber immer noch im Grundsatz ähnlichen sozialen Absicherungen den Schein erwecken, dass die heutige Gesellschaft den Liberalismus überwunden hat, so ist dies tatsächlich nicht mehr als Schein. Der Liberalismus ist eine Idee, auf der die meisten wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Institutionen der heutigen Welt, insbesondere der westlichen, aufbauen. Während man aber die gravierendsten wirtschaftlichen Probleme im Westen überwinden konnte, so erkennt man an anderer Stelle erst die verheerende Tragweite der liberalen Idee.

Mal abgesehen von den historischen, aber auch den täglich totgeschwiegenen Katastrophen, die auf der Welt passierten und weiterhin passieren und mit dem Liberalismus in enger kausaler Verbindung stehen, wie Hunger und Krieg, zeigen sich auch in den westlichen Gesellschaften immer mehr die Wirkungen dieser Idee.

Der mit dem Liberalismus Hand in Hand gehende Egoismus ist in allen Teilen der Gesellschaft nicht erst seit gestern angekommen. Auch Probleme wie die Anzahl der psychischen Erkrankungen, die Selbstmordrate, Burnout oder das Klima einer Ellenbogengesellschaft sind schon längst zum Alltag geworden.

Doch paart man diese egozentrischen, liberalen Werte mit Jugendlichen, die in einer Welt erwachsen werden, in der es zur Selbstverständlichkeit geworden ist, sein Leben auch in einer virtuellen Welt darzustellen, dann trifft man auf einmal auf ganz neue Probleme. Beliebtheit, gutes Aussehen und viele weitere Sachen lassen sich auf einmal durch Likes und Follower quantifizieren. Jeder Aspekt des Lebens kann nun mit denen anderer Leute verglichen werden. Die Folgen sind idealisierte Schönheitsbilder, Markendruck, Mobbing und nicht zuletzt das Potenzial, sozial ausgeschlossen zu werden, wenn man nicht schritthält oder schritthalten möchte.

Auch uns als Einzelpersonen fällt es sicherlich schwer, sich nicht von dieser durch Egoismus geprägten Dauerstimmung beeinflussen zu lassen. Doch vielleicht ist genau das der richtige Zeitpunkt, dass wir uns Muslime auf das zurückbesinnen, was uns wirklich Antrieb verleiht oder verleihen sollte: Der Islam.