Die historischen Berührungspunkte zwischen dem Islam und Frankreich sind vielfältig. Beginnend mit der islamischen Expansion, die bis in den Süden Frankreichs reichte, den Kreuzzügen, dem Kolonialismus Frankreichs in der islamischen Welt und den erfolgreichen Bemühungen zur Bekämpfung des osmanischen Reiches. Trotz des ebenfalls vorhandenen kulturellen Austauschs, war der Blick des französischen Staates auf die islamische Welt immer geprägt von Eroberungsfantasien. Diese waren vor der französischen Revolution christlicher und danach säkularer Natur.
Durch die prekären Umstände der islamischen Welt des 20. Jahrhunderts, die unter anderem eine Folge der französischen Kolonialpolitik darstellten, wurden viele Muslime dazu veranlasst in westliche Länder zu ziehen. Die europäischen Staaten nahmen die Muslime als neue Arbeitskräfte mit offenen Armen auf. In dieser Zeit waren die Muslime noch keinen ernstzunehmenden Diskriminierungen ausgesetzt. Die westlichen Staaten gingen nämlich davon aus, dass die kulturellen Unterschiede sich in den nächsten Genrationen erübrigen würden und ließen die Muslime so ihre Religion ausüben. Doch das Gegenteil passierte: Moscheen, Gebete, Hijab, Halal-Produkte, all das etablierte und verbreitete sich schnell. In den Augen westlicher Politiker waren das Warnzeichen, die auf ein Scheitern ihrer Assimilationspolitik hindeuteten. Ein Preis, den sie nicht zu zahlen bereit waren, da die Muslime schon einen erheblichen Bevölkerungsanteil ausmachten. So leben derzeit allein in Frankreich zwischen 5 und 8 Millionen Muslime.
Dieser geschichtliche Verlauf soll deutlich machen, wieso gerade Frankreich bis heute eine derart aggressive Politik gegen die Muslime fährt. Einerseits war da die aggressive Kolonialpolitik und die Verachtung für alles was mit Religion zu tun hatte. Auf der anderen Seite haben sie als Folge ihrer eigenen Handlungen eine starke Bevölkerungsminderheit bekommen, die genau das Gegenteil von dem praktiziert, was sie als ihr Ideal ansehen. Auch war es der französische Staat, der nicht in erster Linie durch sein politisches Geschick in der islamischen Welt aufgefallen ist, sondern durch seine Brutalität und die Schneide der Verwüstung, die sie in den islamischen Ländern hinterlassen haben. Diese unheilvolle Mischung aus einer radikalen laizistischen Idee auf der einen und der starken Überzeugung der Muslime auf der anderen Seite, führte nun immer häufiger zu Konflikten auf französischem Boden.
Aus alldem entstand Ende des 20. Jahrhunderts eine neue Strategie, wie man mit der vermeintlichen Gefahr des Islam umgehen müsse: man wollte die Führung islamischer Institutionen an sich reißen, um die Muslime so nach Belieben lenken zu können. Der Weg dorthin ist allerdings alles andere als einfach. Er setzt voraus, dass man Institutionen ausspäht, Führungspositionen nach Belieben besetzen kann und Programme umsetzt, die die Muslime davon überzeugen, den Islam säkular zu verstehen, obwohl dies ein offenkundiger Widerspruch wäre.
So schlug der damalige französische Innenminister Jean-Pierre Chevènement am 23.11.1997 die Schaffung einer derartigen Institution vor. Er sprach:
„Heute wende ich mich an die anwesenden Muslime und nicht an den Staat. Ich möchte, dass wir auf die Errichtung einer Institution hinarbeiten, die sich der Forschung und Lehre des Islams widmet, um ihn den Franzosen zugänglich zu machen. Wir möchten einen französischen Islam errichten.“
Der Startschuss einer aggressiven Assimilationsagenda.
Im November 1999 hat Chevènement mit den Vertretern der Muslime sich darüber abgesprochen, ein islamisches Vertretungsgremium Frankreichs vorzubereiten. Dieses Vertretungsgremium wurde 2001 unter dem Namen „Französischer Ausschuss der islamischen Religion“ gewählt und 2003 offiziell gegründet. Eigentlich sollte dieses Gremium dazu dienen, die islamischen Interessen zu wahren. Der politische Plan allerdings, den der französische Staat damit verfolgte, wurde den Muslimen Frankreichs in den Jahren danach sehr schnell bewusst. So sagte am 19. April 2003 Nicolas Sarkozy, der damalige Innenminister, knapp 2 Monate vor der offiziellen Gründung des Gremiums:
„Die Muslime müssen ihren vollkommenen Willen äußern, Franzosen sein zu wollen.“
Was Sarkozy meinte war selbstverständlich nicht die nationale Zugehörigkeit, die die Muslime anstreben sollten, sondern die ideelle Loyalität zum französischen Laizismus.
Nun ging es Schlag auf Schlag. Die Geburt eines Instituts, das die Muslime noch expliziter bevormunden sollte, wurde am 21. März des Jahres 2005, durch den damaligen Innenminister Dominique de Villepin verkündet, das den Namen „Islam Frankreichs“ trägt. Ein Institut, das sich explizit die Säkularisierung islamischer Vorstellungen zum Auftrag genommen hat.
Die Umstände all dieser Gründungen lassen nur einen Schluss zu: obwohl all diese Gremien von Muslimen besetzt und mit islamischen Floskeln bespickt waren, dienen sie in Wirklichkeit dem genauen Gegenteil, nämlich der Kontrolle über die islamische Lebenspraxis in Frankreich.
Dem französischen Staat ist es darüber hinaus von Anfang an ein Anliegen gewesen, die Muslime von ihren Herkunftsländern zu trennen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat ein Regierungsrat vorgeschlagen, islamische Läden, Halal-Produkte und Pilgerreisen extra zu besteuern. Dieser Markt warf allein im Jahr 2015 über 5 Milliarden Euro ab. Mit diesem Geld sollten die Moscheen und alles andere an islamischer Kultur finanziert werden, damit die islamischen Organisationen nicht mehr abhängig wären von Finanziers aus anderen Staaten. Das Institut für die Aktionen im Sinne des Islam Frankreichs, sollte diese Geschicke leiten. Erst 2016, also nach den Anschlägen von Charlie Hebdo 2015 und weiteren Ausschreitungen, wurde das Gremium tätig und der ehemalige Innenminister Chevènement als ihr Vorsitzender bestimmt, was unter den Muslimen eine Empörung hervorrief, da er für seine islamfeindlichen Positionen bekannt war, sodass der Algerier Ghaleb Bencheikh an seine Stelle trat. Eine provozierte Empörung, um das Institut dazu zu bringen, aktiv zu werden.
Seit 2017 ist nun Emmanuel Macron der Staatspräsident Frankreichs. Dieser hatte von Anfang an eine Agenda bezüglich der Muslime in Frankreich auf dem Plan. So beinhaltet seine Strategie unter anderem die folgenden Punkte: 1. die Bekämpfung ausländischer Einmischungen in Privatschulen und Moscheen, 2. die Ausrichtung des islamischen Gottesdienstes an den Werten des Laizismus und der französischen Verfassung und 3. die Bekämpfung aller Erscheinungsformen des islamischen Separatismus und islamischer Parallelgesellschaften. Mit anderen Worten ein vollständig durchdiktierter Islam, den die Muslime so niemals akzeptieren würden. Doch er ließ seinen Worten Handlungen folgen und schloss mehrere muslimische Einrichtungen, brachte antiislamische Gesetzesentwürfe auf den Weg und ließ schlussendlich die Karikaturen an die Regierungsgebäude projizieren. Woraufhin die Lage in Frankreich eskalierte. Es gab Gewalt auf allen Seiten, Solidarisierungen mit dem französischen Staat und den Opfern auf Seiten der französischen Mehrheitsgesellschaft, Boykotte auf französische Waren in der islamischen Welt und eine weltweit aufgeheizte Stimmung.
Wir sehen also deutlich, dass die Bevormundung der französischen Muslime, die Übernahme ihrer Institutionen, die diskriminierenden Gesetze und Kampagnen und die aggressive Assimilationspolitik immer wieder in Höhepunkten endeten, die Gewalt auf allen Seiten bedeuteten. Im politischen Diskurs wurde dieses Thema in dieser historischen Ganzheitlichkeit nicht betrachtet. Hätte man dies getan, wäre man niemals auf die Idee gekommen, die besagten Ausschreitungen und Anschläge dafür zu nutzen, um eine Verschärfung dieser aggressiven Assimilationspolitik zu fordern. So passierte aber genau das Gegenteil. Wenn über die Anschläge, wie sie in Frankreich passierten, gesprochen wird, darf niemals der islamische Rechtsspruch außer Acht gelassen werden. Aber genauso muss das politische Spiel aufgedeckt werden, das Präsident Macron hier spielt. Denn die Gewalt, die danach passierte, war abzusehen und damit bewusst von ihm in Kauf genommen worden. Es ist klar, dass nach jahrelanger Schikanierung es einige geben wird, die in ihrer Kurzsichtigkeit mit solchen Anschlägen antworten werden, unabhängig davon, was das islamische Recht dazu sagt. So wäre es auch bei jeder anderen religiösen oder ethnischen Gruppe passiert, die über Jahre hinweg immer weiter diskriminiert werden würde. Die Logik, die danach aber bemüht wurde, vertauschte Ursache und Wirkung miteinander. Die Anschläge wurden als Ursache dafür gesehen, dass nun weitere Einschränkungen des islamischen Lebens folgen müssen. Dies verschärft aber nur das Problem und verkennt die historische Kausalität.