Immer noch sieht die Welt fassungslos nach Neuseeland. Das Attentat auf zwei Moscheen in Christchurch forderte mindestens 49 Tote und 48 zum Teil schwer verletzte Menschen. Das Video, dass der Täter von dem Massaker drehte und live ins Internet übertrug, kursiert immer noch im Netz, auch wenn von verschiedenen Seiten vieles getan wird, um die Verbreitung zu stoppen. Der Attentäter stürmte während des Freitagsgebets mit einer mit Schriftzeichen bemalten Waffe in eine der angegriffenen Moscheen, die zu dem Zeitpunkt von knapp 300 Menschen besucht war und schoss um sich. Auch Kinder vielen dem oder den Tätern zum Opfer. Die Polizei hat daraufhin vier Personen festgenommen, an deren Autos Sprengsätze befestigt waren.

Zunächst gehören unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme den Angehörigen und Freunden der Verstorbenen. Wir beten für die Opfer dieses feigen Anschlags und erinnern an die Worte Allahs:


„Und sagt nicht von denen, die auf Allahs Weg getötet werden, sie seien tot! Nein! Vielmehr sind sie lebendig; aber ihr nehmt es nicht wahr. Und Wir werden euch ganz gewiss mit ein wenig Furcht und Hunger und Mangel an Besitz, Seelen und Früchten prüfen. Doch verkünde frohe Botschaft an den Standhaften, die, wenn sie ein Unglück trifft, sagen: Wir gehören Allah und zu Ihm kehren wir zurück.‘ “ [2:154-156]

Es wäre naiv anzunehmen, dass dieser Akt des Terrors einfach in einem politischem Vakuum stattfand. Alle Indizien deuten darauf hin, dass der Täter sich in einem Sumpf rechter Gesinnung, Verschwörungstheorien und rassistischer Ideologie befand. Nein, wenn wir diese Tat erklären wollen, dann genügt es nicht, diese als Perversität eines Einzelnen abzutun. Es ist zu offensichtlich, dass die zunehmend fremdenfeindliche und rassistische Stimmung, die von einigen wenigen betrieben und von deutlich größeren Teilen der Gesellschaft geduldet wird, mit dazu führte, dass solch ein Akt der Barbarei überhaupt möglich wurde.

Der Politikwissenschaftler und Professor für Sicherheitsstudien am King’s College in London Peter Neumann sagt in einem Zeit-Online-Interview:

„Das Manifest des Täters, das er offensichtlich vor der Tat geschrieben und veröffentlicht hat, legt nahe: Das war ein rassistischer, rechtsextrem motivierter Anschlag. Er speist sich aus einer Kombination von neuer und alter rechter Ideologie. In dem Manifest stehen krude rassistische Dinge, die ich eher der Neonaziszene zurechnen würde, aber auch viele neurechte Elemente, die man eher bei den Identitären finden würde.“

Die angesprochenen Schriftzeichen, die der Täter u.a. auf seine Waffe malte, waren einzelne Anspielungen auf vergangene Ereignisse, wie bereits geschehene Attentate auf Muslime und die Namen der Täter. Auch sah sich der Täter ganz offensichtlich als Nachfolger von Anders Breivik, der 2011 ebenfalls einen Anschlag dieser Größenordnung durchführte. Das sieht man nicht nur daran, dass er wie Breivik ein Manifest veröffentlichte und dass er sich wie Breivik nach eigenen Aussagen zwei Jahre auf seinen Anschlag vorbereitete. Sondern auch daran, dass selbst der Stil, in der das Manuskript verfasst ist, an Breivik erinnert. Es ist ebenfalls zum Teil ein Interview mit sich selbst und es ist ähnlich aufbereitet. Neumann beschreibt weiter:

„Doch es gibt einen Unterschied, der sich in den nächsten Tagen noch klären wird: Breivik war wirklich ein einsamer Wolf, der relativ wenig mit anderen Leuten kommuniziert hat. Bei diesem Täter kann ich mir gut vorstellen, dass er ziemlich intensiv in virtuellen Subkulturen unterwegs war, in Internetforen wie Reddit oder 8Chan, wo er sich mit anderen Leuten ausgetauscht hat.“

Diese ganzen Umstände lassen nur den Schluss zu, dass wenn wir diese Tat analysieren wollen, wir nicht drumherum kommen, den Weg durch das Internet und die jahrelang verfehlte Politik der westlichen Staaten zu suchen.

Diese Taten sind nur die logische Konsequenz dessen, was weite Kreise der Politik und der Medien die letzten Jahre vorbereiteten. Sie haben immer wieder für die Stigmatisierung der Muslime gesorgt, bis die Stimmung dann überhand nahm und in der gesamten westlichen Welt Parteien und Personen aufgekommen sind, die die muslimfeindlichen Meinungen, die bereits erzeugt wurden, bündelten und sie weiter in die Mitte der Gesellschaft trieben. Anstatt, dass man sich durch diese außer Kontrolle geratene destruktive Entwicklung hat aufwecken lassen, sprangen viele etablierte Parteien auf den Zug mit auf. Unter dem Deckmantel der Liberalität wurden die absurdesten Forderungen nach Verboten gestellt, nicht um wirkliche Probleme zu lösen, sondern, um politisches Kapital herauszuschlagen. Diese Vorgehensweise implizierte aber stets, dass die Muslime diejenigen sind, die den gesellschaftlichen Frieden stören. Sie sind die Unterdrücker der Frauen und Kinder, die Täter im Nahen Osten und rückständig in ihrem Denken. Im Windschatten dieser Politik konnten, vor allem im Netz, dann die beschriebenen nationalistischen, rassistischen und identitären Netzwerke entstehen und gedeihen. Die Radikalisierung vieler Personen schritt voran. Der Ton wurde, vor allem in den sozialen Netzwerken, rauer und auf der Spitze dieser Entwicklung stehen grausame Handlungen, wie die vom letzten Freitag

Natürlich wird jeder erkennen, dass Taten wie diese die Spitze der Radikalisierung einer Minderheit sind. Ehrliche Solidarisierungen aus der ganzen Welt haben dies nach den Attentaten gezeigt. Doch gerade deswegen ist es umso wichtiger darauf aufmerksam zu machen, dass man schon den Anfängen solcher Entwicklungen mit aller Kraft entgegenwirken muss. Der Extremismusforscher Hajo Funke sagt in einem Interview mit Deutschlandfunk, dass dieses Attentat

„ein Weckruf auch in Deutschland“ sein müsse, „es muss mit Islamhass Schluss sein und die Justiz muss entsprechend entschieden handeln wollen. Es gibt ja einen ungeheuren Spielraum.“

Ganz besonders sind wir Muslime dabei gefragt, denn wir sind die Betroffenen. Es kann nicht sein, dass wir erst durch den Tod unserer Geschwister erkennen, dass es notwendig ist, als muslimische Community zusammen zu halten. Wir müssen drohende Gefahren in Zukunft erkennen, und zwar nicht erst, wenn es zu spät ist. Dazu brauchen wir politische Weitsicht genauso, wie gemeinsame Strukturen. Engagement genauso, wie das Wissen im Islam. Wir müssen endlich damit anfangen, über Meinungsverschiedenheiten hinwegzusehen und unsere gemeinsamen Interessen als Muslime wahrzunehmen. Nur so wird es gelingen, dass wir effektiv unseren Standpunkt in der Öffentlichkeit klarmachen können und dazu in der Lage sind, den Scharfmachern dieser Gesellschaft ihre Grenzen aufzuzeigen. Wenn wir dazu nicht in der Lage sind, dann ist auch nicht zu erwarten, dass sich etwas am Kurs der westlichen Politik ändert.

„Und haltet insgesamt an Allahs Seil fest und zerfallt nicht und gedenkt der Gnade Allahs gegen euch, da ihr Feinde wart und Er eure Herzen so zusammenschloss, dass ihr durch Seine Gnade Brüder wurdet […]“ [3: 103]